Details ausblenden
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 20.09.2023

Betriebsbedingte Kündigung in der Insolvenz - BAG zur Vermutungswirkung der Namensliste

Wird eine Betriebsänderung gem. § 111 BetrVG geplant und vereinbaren der Insolvenzverwalter und der Betriebsrat darüber einen Interessenausgleich mit Namensliste, so wird gem. § 125 Abs. 1 Nr. 1 InsO vermutet, dass die Kündigung der in der Namensliste genannten Arbeitnehmer durch dringende betriebliche Erfordernisse i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Voraussetzung für diese Vermutungswirkung ist, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs sich die Betriebsänderung noch in der Planungsphase befinden muss. Nur so ist dem Betriebsrat entsprechend dem Zweck des § 111 BetrVG eine Einflussnahme auf die unternehmerische Entscheidung möglich. Dies entschied das BAG am 17.08.2023. Der Kläger war seit 05.12.2011 bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigt. Am 01.03.2020 wurde über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der beklagte Insolvenzverwalter schloss mit dem Betriebsrat am 27.3.2020 einen Interessenausgleich mit [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 13.09.2023

Teamzuordnung und Versetzung

Eine mitbestimmungspflichtige Versetzung des Arbeitnehmers liegt bei der Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs vor, also wenn der Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts die Art, den Ort oder den Umfang der Tätigkeit eines Arbeitnehmers ändert. Beteiligungsfrei ist hingegen, wenn die Änderung der Arbeitsumstände nicht erheblich ist. In der Rechtspraxis haben sich zwar Kriterien für die Abgrenzung herausgebildet, dennoch hat die Rechtsprechung immer wieder Versetzungsfälle zu entscheiden. Das LAG Thüringen entschied am 29.05.2023 den Fall einer Veränderung bei der Teamzuordnung innerhalb einer Abteilung bei gleichbleibenden Arbeitsaufgaben. Die Antragsgegnerin ist ein Unternehmen der Automobilindustrie, das sich mit der Produktion und dem Vertrieb von Scheinwerfern beschäftigt. Der Antragsteller ist der Betriebsrat. Im Bereich der Vorfertigung gibt es je nach Komplexität der zu fertigenden Produkte unterscheidliche Teams. Die jeweiligen Teamleiter teilen die Arbeit [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 06.09.2023

Kein Beweisverwertungsverbot trotz Verstoß gegen das Datenschutzrecht

Die Rechtmäßigkeit einer Kündigung hat ein Arbeitgeber vollumfänglich zu beweisen. Hierbei werden häufig Informationen relevant, deren Verarbeitung nach den Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) erfolgen muss. Werden die datenschutzrechtlichen Vorgaben nicht eingehalten, droht ein Beweisverwertungsverbot. Das Arbeitsgericht wägt hierbei das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Arbeitnehmers gegen das Beweiserhebungsinteresse der Arbeitgeberseite ab. Dabei gilt: nur ein besonderes Beweisinteresse kann den Schutz des Persönlichkeitsrechts überwiegen. In seinem Urteil vom 29.06.2023 hat das BAG der umfangreichen Rechtsprechung zu dieser Thematik eine weitere Konstellation hinzugefügt: Die Überwachungsmaßnahme erfolgte offen, und es stand ein vorsätzliches vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers im Raum. Der Kläger war bei der Beklagten als Teamsprecher in einer Gießerei beschäftigt. Die Beklagte warf dem Kläger vor, er sei am 02.06.2018 im [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 30.08.2023

Nachweis der Arbeitsunfähigkeit

Die Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist in der Praxis nicht einfach, vor allem dann, wenn der behandelnde Arzt im Arbeitsgerichtsprozess als Zeuge Angaben macht. Das LAG Schleswig-Holstein hatte am 02.05.2023 eine Entgeltfortzahlungsklage abgewiesen, da trotz der Zeugenaussage des Arztes aufgrund der Gesamtumstände davon auszugehen war, dass eine Erkrankung in Wirklichkeit nicht vorlag. Die Klägerin hatte am 04.05.2022 mit Datum 05.05.2022 ein Kündigungsschreiben zum 15.06.2022 verfasst und darin um die Zusendung einer Kündigungsbestätigung und der Arbeitspapiere an ihre Wohnanschrift gebeten. Ab 05.05.2022 reichte die Klägerin durchgehend bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses - also über eine Dauer von sechs Wochen - insgesamt fünf Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein. Die Beklagte zahlte keine Entgeltfortzahlung. In der ersten Instanz wurde der Zahlungsklage stattgegeben, die zweite Instanz wies die Klage hinsichtlich der [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 23.08.2023

Voraussetzungen des Befristungsgrunds Vertretung

Ein Arbeitsverhältnis kann gem. § 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG befristet werden, wenn der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers eingestellt wird. Eine Vertretung liegt nur vor, wenn die Erwartung besteht, der ausfallende Arbeitnehmer werde irgendwann an seinen Arbeitsplatz zurückkehren. Liegen jedoch wegen besonderer Umstände erhebliche Zweifel an der Rückkehr vor, ist diese Voraussetzung nicht gegeben. Nach der Rechtsprechung des BAG ist dies der Fall, wenn der Arbeitnehmer verbindlich erklärt, er werde nicht zurückkommen. Zudem muss zwischen dem Ausfall und der Einstellung ein Kausalzusammenhang bestehen. In einem vom LAG Niedersachsen am 11.05.2023 entschiedenen Fall fehlte es an dieser Voraussetzung. Der Kläger war seit Mitte Oktober 2020 als Paketzusteller zunächst bis Mitte November 2020 befristet beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde dreimal bis Ende April 2022 aufgrund weiterer befristeter Verträge verlängert. Kurz vor Ablauf der Befristung [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 16.08.2023

Kritik am Arbeitgeber in den sozialen Medien

Art. 5 Abs. 1 GG schützt die Meinungsäußerung, welche jedoch gem. Art. 5 Abs. 2 GG u. a. durch die allgemeinen Gesetze beschränkt ist. Hierzu gehört auch die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB. Wird diese Rücksichtnahmepflicht verletzt, kann eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht kommen. Das LAG Thüringen entschied am 19.04.2023 den Fall eines Arbeitnehmers, welcher im Internet massive Kritik an seinem Arbeitgeber veröffentlichte. Der Kläger ist bei der Beklagten in einem therapeutischen Team tätig. Für einen verstorbenen untergebrachten Patienten richtete er im Internet eine Gedenkseite ein, auf welcher er ausführte, dass der Patient nach einem "ungleichen Kampf, den er nicht gewinnen konnte" verstarb, und den er "den B… Fachkliniken C… mit seiner Oberärztin D… mit zu verdanken hatte, die ein fachärztliches Konsil über Monate hinweg hinauszögerten." Zudem veröffentlichte er unter einem Pseudonym im Internet einen Artikel [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 09.08.2023

Verdachtskündigung wegen fehlerhafter Zeiterfassung im Gleitzeitmodell

Gibt der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit nicht richtig an und lässt sich somit für Arbeitszeit bezahlen, in der er nicht gearbeitet hat, liegt ein Arbeitszeitbetrug vor. Dieser liegt auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer während der Arbeitszeit privat telefoniert oder sonstige private Dinge - beispielsweise am Handy - erledigt. Ein Arbeitszeitverstoß liegt vor, wenn keine Täuschung über gearbeitete Zeiten erfolgt, sondern der Arbeitnehmer sich schlicht nicht an die vereinbarten Arbeitszeiten hält. Ein Arbeitszeitbetrug ist ein Kündigungsgrund. Je nach Fallkonstellation ist eine Abmahnung erforderlich. In den meisten Fällen des Arbeitszeitbetrugs ist eine vorherige Abmahnung nicht erforderlich, da der Arbeitnehmer von vornherein wissen muss, dass der Arbeitgeber ein derartiges Fehlverhalten nicht hinnehmen wird. Kann der Arbeitszeitbetrug vom Arbeitgeber nicht nachgewiesen werden, kommt nach Anhörung des Arbeitnehmers eine Verdachtskündigung in Betracht. Das LAG [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 09.08.2023

Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte

Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Verfahrens bereits seit 14 Jahren bei der Beklagten beschäftigt. Wegen sexistischer und rassistischer Übergriffe wandte sie sich im Juni 2022 an die Gleichstellungsbeauftragte des Betriebs. Diese führte Gespräche mit der Betroffenen und dem beschuldigten Mitarbeiter. Anschließend teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass eine Beschwerdeprüfung nach § 13 AGG mangels hinreichender Verdachtsmomente ohne Ergebnis verlief. Nach weiteren Beschwerden der Klägerin sprach der Betrieb eine Abmahnung aus. Der Klägerin wurde vorgeworfen, unwahre Behauptungen über ihre Kollegen zu verbreiten und hierdurch den Betriebsfrieden massiv zu stören. Die Klägerin forderte sodann - abschließend auch im gerichtlichen Verfahren - die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte sowie die Zahlung von Schadensersatz nach dem AGG. Das Arbeitsgericht sah die Klage nur hinsichtlich der Entfernung der Abmahnung als begründet an. Schadensersatzansprüche nach [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 02.08.2023

Erzwingung einer Regelung zur Zeiterfassung durch den Betriebsrat

Gemäß § 16 ArbZG sind Arbeitgeber verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 hinausgehende Arbeitszeit von Arbeitnehmern aufzuzeichnen und ein Verzeichnis der Arbeitnehmer zu führen, die in eine Verlängerung der Arbeitszeit gem. § 7 Abs. 7 eingewilligt haben. Seit dem Beschluss des BAG vom 13.09.2022 (1 ABR 22/21) haben die Arbeitgeber weitergehende Pflichten: Es ist ein System einzuführen, mit dem Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit der Arbeitnehmer sowie die Überstunden und Pausen erfasst werden können. Im vorliegenden Beschluss entschied das BAG, dass dem Betriebsrat kein Initiativrecht zur Einführung eines Zeiterfassungssystems zukommt, da der Arbeitgeber ohnehin gesetzlich verpflichtet sei, die Arbeitszeit zu erfassen. Geht es allerdings lediglich um die Frage, wie das Zeiterfassungssystem ausgestaltet werden soll, hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht. Nach einer Entscheidung des LAG München hat dieser ein Initiativrecht, wenn es [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 26.07.2023

Beweiswert einer AU-Bescheinigung bei dauerhafter Krankmeldung

Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu. Dieser kann jedoch erschüttert werden, wenn vom Arbeitgeber tatsächliche Umstände dargelegt und ggf. bewiesen werden können, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben. In diesem Fall muss der Arbeitnehmer beweisen, dass er arbeitsunfähig war. Dieser Beweis kann durch Vernehmung des behandelnden Arztes geführt werden. Insbesondere bei Arbeitsunfähigkeiten im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses können berechtigte Zweifel an der ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bestehen. Das LAG Niedersachsen hat den Fall eines Arbeitnehmers entschieden, der einen Tag vor dem Zugang einer Kündigung mit unterschiedlichen Diagnosen bis zum Tag der Beendigung des Arbeitsverhältnisses [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 19.07.2023

Erstattung der Vermittlungsprovision durch den Arbeitnehmer zulässig?

Jede einzelne Klausel eines vorformulierten Arbeitsvertrags ist nur dann wirksam, wenn sie der AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB standhält. Gem. § 305 Abs. 1 BGB sind allgemeine Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die der Verwender der anderen Partei bei Vertragsabschluss stellt. Vorformulierte Vertragsbedingungen sind dann AGB, wenn ihre dreimalige Verwendung beabsichtigt ist - nicht jedoch im Arbeitsrecht: hier genügt gem. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB die einmalige Verwendung, da der Arbeitnehmer Verbraucher ist. Das BAG hatte sich mit der Frage zu befassen, ob sich der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer eine Vermittlungsprovision erstatten lassen darf, welche er zuvor an einen Personaldienstleister gezahlt hatte. Es ging um die Wirksamkeit einer Arbeitsvertragsklausel, wonach der Arbeitnehmer zur Erstattung der Vermittlungsprovision verpflichtet ist, wenn er vor Ablauf einer bestimmten Frist selbst kündigt. Die Beklagte [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 12.07.2023

Endgehaltsbezogene Betriebsrente bei Teilzeit

Gem. § 4 Abs. 1 TzBfG darf es bei der Berechnung der Betriebsrente von in Teilzeit tätigen Arbeitnehmern nicht zu Benachteiligung kommen. Der in Teilzeit Arbeitende muss eine Leistung wie etwa die betriebliche Altersversorgung in dem Umfang erhalten, der anteilig der Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten entspricht. Inwiefern bei der endgehaltsbezogenen betrieblichen Altersversorgung bei Teilzeit auf das zuletzt maßgebliche Entgelt abgestellt werden darf, hat das BAG am 20.06.2023 entschieden. Die im Streitfall maßgeblichen Versorgungsrichtlinien sahen eine Altersrente vor, die sich aus einem Festrentenbetrag mal Dienstjahren ergab, wobei sich der Festrentenbetrag nach folgender Formel errechnete: Rentenfähiges Einkommen / Beitragsbemessungsgrenze x Renteneckwert. Das rentenfähige Einkommen sollte ein Zwölftel des Einkommens betragen, das der Arbeitnehmer im letzten Kalenderjahr vor Eintritt des Versorgungsfalles bezogen hatte. War ein Arbeitnehmer innerhalb [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 05.07.2023

Beweis für den Zugang einer Kündigung bei Einwurf-Einschreiben

Eine Kündigung ist nur dann wirksam, wenn sie dem Arbeitnehmer zugeht. Bestreitet der Arbeitnehmer, eine Kündigung erhalten zu haben, muss der Arbeitgeber den Zugang der Kündigung beweisen. Um diesen Beweis führen zu können, versenden Arbeitgeber in aller Regel das Kündigungsschreiben nicht per einfacher Post, sondern per Einschreiben. Dass mit der Versendung per Einschreiben die Pflichten des Arbeitgebers im Hinblick auf den Beweis des Zugangs der Kündigung noch nicht erledigt sind, zeigt ein Urteil des LAG Schleswig-Holstein vom 18.01.2022 auf. Der Kläger ist bei der Beklagten seit August 2017 beschäftigt. Er wohnt in einer Hochhausanlage mit zehn Stockwerken. Die Briefkastenanlage im Hausflur des Wohnhauses weist ca. 80 Fächer auf. Ganz oben rechts ist der ordnungsgemäß mit seinem Namen versehene Briefkasten des Klägers. Mit Schreiben vom 26.10.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis. Die Kündigung wurde an die Wohnanschrift des Klägers adressiert und [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 28.06.2023

Befristung zur Vertretung

Eine Befristung zur Vertretung ist zulässig, auch wenn dabei die Vertretung nicht dieselben Aufgaben wie der Vertretene übernimmt, da diese Aufgaben von anderen Arbeitnehmern erledigt werden und deren Tätigkeit dem Vertreter übertragen ist. Bei dieser mittelbaren Vertretung muss die Arbeitgeberseite grundsätzlich den Kausalzusammenhang, also die Vertretungskette zwischen dem Vertretenen und dem Vertreter, darlegen und beweisen. Das LAG Rheinland-Pfalz legte in seinem Urteil vom 25.01.2023 dar, dass es hierbei auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Sämtliche Umstände des Einzelfalls sind bei der Prüfung im Hinblick auf einen Rechtsmissbrauch durch den Arbeitgeber zu würdigen. Im entschiedenen Fall wurde eine Lehrerin mittels befristeter Arbeitsverträge mehrfach an verschiedenen Schulen als Vertretung eingesetzt, zuletzt als Vertretung für einen Lehrer, der bis Ende 2022 Elternzeit beantragt hatte. Im Befristungskontrollantrag führte die Lehrerin aus, dass sie andere [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 21.06.2023

Offenlegung der Erkrankung gegenüber dem Arbeitgeber

Die Dauer der Entgeltfortzahlung beträgt sechs Wochen. Leidet der Arbeitnehmer unter mehreren Erkrankungen, kann sich dieser Zeitraum verlängern, je nachdem, wann welche Erkrankung aufgetreten ist. Die Nachweispflicht liegt hierbei auf der Arbeitnehmerseite und wird regelmäßig durch die Angaben in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen. Allerdings erstreckt sich die Pflicht des Arbeitnehmers auch darauf, im Zweifelsfall die behandelnden Ärzte von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden. Dies hat das BAG am 18.01.2023 entschieden. Der Kläger verlangte von der Beklagten weitere Lohnfortzahlung für insgesamt 10 Tage. Er war zwischen vom 24.08.2019 und dem 13.08.2020 an insgesamt 110 Tagen arbeitsunfähig. Zwischen dem 18.08.2020 und dem 23.09.2020 erkrankte der Kläger mehrfach erneut für ein bis drei Tage. Hierfür leistete die Beklagte keine Lohnfortzahlung mehr, da sie der Auffassung war, es handele sich um Fortsetzungserkrankungen, für die der [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 07.06.2023

Arbeitgeber muss Kündigungsgrund beweisen können

Bei einer verhaltensbedingten Kündigung ist der Arbeitgeber für das dem Arbeitnehmer vorgeworfene vertragsverletzende Verhalten darlegungs- und beweispflichtig. Nach § 138 Abs. 1 und 2 ZPO ist ein Vortrag notwendig, der alles das beinhaltet, was die darlegende Partei weiß und wissen kann. Dass die Anforderungen hieran recht streng sind, zeigt ein Urteil des LAG Köln vom 8.6.2021 auf. Der Kläger war als Bezirksleiter in einem Getränkegroßvertrieb beschäftigt. Am 11.12.2019 kündigte die Beklagte fristlos, hilfsweise fristgerecht. Im Kündigungsschreiben teilte sie zur Begründung mit, der Kläger habe sechs Fantasiekunden im IT-System angelegt und diesen einen Rabatt von 95 % eingerichtet. Innerhalb eines Monats habe es mit diesen Phantasiekunden 423 Geschäftsvorgänge gegeben, bei denen insgesamt ein Schaden von ca. 567.000 € entstanden sei. Das IT-Systemprotokoll weise aus, dass diese Kunden von ihm vom PC und Laptop aus angelegt worden seien. An die Daten des PC und [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 31.05.2023

Weiterbeschäftigungsangebot bei fristloser Kündigung

Nach einem verlorenen Kündigungsschutzprozess muss der Arbeitgeber für die Dauer des Prozesses Annahmeverzugslohn zahlen, obwohl nach Ablauf der Kündigungsfrist der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung nicht mehr hat erbringen müssen. Um dieses Risiko zu vermeiden, kann dem Arbeitnehmer ein Weiterbeschäftigungsangebot unterbreitet werden. Es gibt jedoch Sachverhalte, bei deren Vorliegen ein solches Angebot für den Arbeitgeber mit Risiken behaftet ist. Das BAG entschied am 29.03.2023 den Fall eines Technischen Leiters, der eine fristlose Änderungskündigung erhalten hatte. Ihm wurde angeboten, künftig als Softwareentwickler gegen eine monatlich erheblich verminderte Vergütung zu arbeiten. Im Fall seiner Ablehnung der außerordentlichen Kündigung, also im Fall, dass er von einem unaufgelösten Arbeitsverhältnis ausgehe oder im Fall der Annahme des folgenden Angebots die Beklagte ihn am 05.12.2019 spätestens um 12:00 MEZ zum Arbeitsantritt erwarte. Der Kläger lehnte das [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 31.05.2023

Kriterien für die Qualifizierung als leitender Angestellter

Der Betriebsrat ist gem. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht zu beteiligen, wenn es sich bei dem einzustellenden Arbeitnehmer um einen leitenden Angestellten gem. § 5 Abs. 3 BetrVG handelt. In den drei Ziffern des § 5 Abs. 3 Satz 2 BetrVG sind vom Gesetz unterschiedliche Fallkonstellationen des leitenden Angestellten beschrieben. Das LAG Köln konkretisierte in einem Beschluss vom 20.01.2023 die gesetzlichen Anforderungen. Der betroffene Prokurist eines Unternehmens mit ca. 750 Arbeitnehmern war im Innen- wie im Außenverhältnis dazu berechtigt, selbständig Einstellungen und Entlassungen vorzunehmen. Die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis des Prokuristen erstreckt sich auf ca. 10 % der Belegschaft. Zudem hatte der Prokurist in dem von ihm verantworteten Bereich "Industrial IT" die Stelle eines Factory IT Business Partners besetzen müssen. Der Inhaber dieser Position war für sämtliche IT-Abläufe im Bereich Operations zuständig. Allein durch die Planung und Beratung bei der [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 25.05.2023

BAG zur Zulässigkeit der außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung

Erkrankt ein unkündbarer Arbeitnehmer langandauernd, oder ist er häufig für kurze Zeit arbeitsunfähig, so kommt eine außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung nur ausnahmsweise in Betracht. Die Anforderungen der Rechtsprechung an eine solche Kündigung sind sehr hoch. Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hatte den Fall eines Ersatzmitglieds im Betriebsrat zu entscheiden, welches häufig für kurze Zeit arbeitsunfähig war. Mitgliedern und Ersatzmitgliedern im Betriebsrat steht ein Sonderkündigungsschutz gem. § 15 KSchG zu. Der Kläger, ein Ersatzmitglied des Betriebsrats, erhielt wegen über Jahre dauernder Kurzerkrankungen eine fristlose Kündigung. Die der Beklagten durch die Entgeltfortzahlungen entstandenen Kosten seien unzumutbar hoch. Die Gesundheitsprognose des Klägers sei aufgrund der vielen Kurzerkrankungen schlecht. Der als Maschinenbediener tätige Kläger könne zudem nicht in der Nachtschicht eingesetzt werden. Dies sei jedoch in einer Backwarenfabrik notwendig. [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 25.05.2023

Anspruch auf Entfernen einer Abmahnung aus der Personalakte

Eine unberechtigte Abmahnung in der Personalakte verletzt das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Er kann deshalb gem. §§ 1004 Abs. 1 Satz 1, 242 BGB die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte verlangen. Eine weitere Anspruchsgrundlage für die Entfernung einer unberechtigten aber auch einer berechtigten Abmahnung ist Art. 17 DSGVO. Die mit der Abmahnung verbundenen Daten sind zu löschen, wenn eine weitere Verarbeitung nicht mehr nötig ist, beispielsweise nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wie das LAG Hamm am 13.09.2022 entschieden hat. Der klagende Oberarzt erhielt eine Abmahnung, weil er während der Rufbereitschaft nicht schnell genug nach einer telefonischen Benachrichtigung im Operationssaal erschienen ist. Nachdem der Kläger aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, verlangte er die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte und erhielt vor Gericht Recht. Die Angaben in der Abmahnung sind personenbezogene Daten i.S.d. DSGVO. Da es sich auch bei einer [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 19.05.2023

Fristlose Kündigung bei Arbeitszeitbetrug

Im Arbeitsvertrag verpflichtet sich der Arbeitnehmer, eine bestimmte Tätigkeit über einen bestimmten Zeitraum auszuüben. Fehlt im Arbeitsvertrag eine Angabe zur Arbeitszeit, schuldet der Arbeitnehmer die betriebsübliche Arbeitszeit. Arbeitet der Arbeitnehmer weniger oder gibt gar eine zu geringe Arbeitszeit an, begeht er einen Arbeitszeitbetrug, welcher eine fristlose Kündigung nach sich ziehen kann, auch wenn es sich bei dem Arbeitszeitbetrug um nur einen ganz kurzen Zeitraum handelt. Das LAG Hamm entschied am 27.01.2023 den Fall einer Arbeitnehmerin, welche den Arbeitszeitbetrug zudem leugnete und verschleierte. Im Betrieb des Beklagten ist eine elektronische Zeiterfassung installiert. Die Arbeitnehmer müssen bei Arbeitsbeginn einstempeln und bei Pausen oder am Ende des Arbeitstags ausstempeln. Die schwerbehinderte, als Raumpflegerin tätige Klägerin verließ am 08.10.2021 kurz nach dem Einstempeln den Betrieb, um in einem dem Betrieb gegenüberliegenden Café einen Kaffee [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 26.04.2023

Rückzahlung von Fortbildungskosten

Arbeitnehmer und Arbeitgeber können vereinbaren, dass der Arbeitnehmer Aus- und Fortbildungskosten zurückzahlen muss, wenn er den Betrieb vor Ablauf einer bestimmten Frist nach dem Ende der Fortbildungsmaßnahme verlässt. Die Rückzahlungsklausel unterliegt der Inhaltskontrolle gem. §§ 305 ff. BGB. Aus diesem Grund sind die Gesamtumstände des Einzelfalls von Bedeutung. Beispielsweise ist relevant, ob die Fort- bzw. Ausbildung für den Arbeitnehmer von geldwertem Vorteil ist und dieser nicht unangemessen lange an das Arbeitsverhältnis gebunden wird. Für den Arbeitgeber besteht das Risiko, dass beispielsweise eine zu lange Bindungsdauer zur Unwirksamkeit der Rückzahlungsklausel insgesamt führt und ein Rückzahlungsanspruch somit nicht besteht. Die beklagte Arbeitnehmerin beantragte mit Schreiben vom 22.03.2019 die Teilnahme an einem zweijährigen Angestelltenlehrgang eines Studieninstituts auf Kosten der Klägerin. In der Rückzahlungsvereinbarung wurde u.a. geregelt, dass [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 19.04.2023

Zeitgleiche Abmahnungen können Warnfunktion verlieren

Wiederholtes Zuspätkommen kann zu einer verhaltensbedingten Kündigung führen. Voraussetzung hierfür ist jedoch eine Abmahnung. Das LAG Köln hatte am 20.10.2022 einen Fall zu entscheiden, bei dem ein Arbeitnehmer zwar mehrere Abmahnungen wegen zu später Arbeitsaufnahme erhalten hatte, diese jedoch nicht wirksam waren, was letztlich zur Unwirksamkeit der verhaltensbedingten Kündigung führte. Der als Anlagenbediener bei der Beklagten beschäftigte Kläger erhielt am 24.03.2021 drei Abmahnungen wegen dreimaliger verspäteter Arbeitsaufnahme. Am 15.07.2021 erschien der Kläger 40 Minuten zu spät zur Arbeit. Über einen Monat später wurde der Kläger in einem Personalgespräch zu den Gründen des Zuspätkommens befragt. Mit Schreiben vom 25.08.2021 wurde der Kläger gekündigt. Die Kündigungsschutzklage war auch in zweiter Instanz erfolgreich. Ein wiederholt verspätetes Erscheinen trotz einschlägiger Abmahnung kann als Verletzung der Arbeitspflicht einen Kündigungsgrund [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 05.04.2023

Sozialauswahl und Rentennähe

Vor betriebsbedingten Kündigungen ist eine Sozialauswahl durchzuführen. Ein Kriterium hierbei ist das Lebensalter, wobei der Arbeitnehmer umso schutzbedürftiger ist, je älter er ist. Die Rentennähe kann jedoch zur Absenkung der Schutzbedürftigkeit führen, weil eine vorgezogene Altersrente zumutbar ist. In dem vom BAG am 08.12.2022 entschiedenen Fall ging es um eine 1957 geborene Arbeitnehmerin, welche seit 1972 im Betrieb beschäftigt war. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schloss der Insolvenzverwalter mit dem Betriebsrat einen ersten Interessenausgleich mit Namensliste, auf der auch die Klägerin genannt war. Daraufhin wurde der Arbeitsvertrag mit der Klägerin zum 30.06.2020 gekündigt. Die Klägerin erhob eine Kündigungsschutzklage. Nachdem ein zweiter Interessenausgleich mit Namensliste mit dem Betriebsrat vereinbart wurde, erhielt die Klägerin erneut eine Kündigung, diesmal zum 30.09.2020. Zur Sozialauswahl trug der Insolvenzverwalter vor, dass die Klägerin in [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 29.03.2023

Berechnung des Beginns des Kündigungsverbots bei Schwangerschaft

Einer schwangeren Arbeitnehmerin darf gem. § 17 Abs. 1 MuSchG nicht gekündigt werden, selbst wenn die Schwangerschaft weder der Arbeitgeberseite noch der Arbeitnehmerin selbst bekannt ist. Stellt eine Arbeitnehmerin erst nach Erhalt der Kündigung fest, dass sie schwanger ist, muss der Beginn der Schwangerschaft berechnet werden. Hierfür stehen mehr oder weniger genaue Methoden zur Verfügung. Das LAG Baden-Württemberg rechnet hierfür 266 Tage vom voraussichtlichen Entbindungstermin zurück; das BAG hingegen rechnet 280 Tage zurück. Diese Diskrepanz beruht darauf, dass das LAG Baden-Württemberg festgestellt hat, dass bei einer Rückrechnung von 280 Tagen nur ganz ausnahmsweise eine Schwangerschaft vorliege. Das Kündigungsverbot bei Schwangerschaft soll jedoch nur tatsächlich Schwangere schützen und nicht den Schutz auf ganz unwahrscheinliche Fälle ausdehnen. Im entschiedenen Fall wurde der Klägerin fristgerecht mit einem am 07.11.2020 zugegangenen Schreiben innerhalb der [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 22.03.2023

BAG zur Höhe von Nachtzuschlägen

Für Nachtarbeit werden Zuschläge gezahlt. Diskutiert wird die Frage, ob die unregelmäßige Nachtarbeit die Teilhabe am sozialen Leben und die Gesundheit mehr belastet als die regelmäßige Nachtarbeit und hierfür deshalb höhere Zuschläge gezahlt werden dürfen. Das BAG hatte mit Urteil vom 11.12.2013 - 10 AZR 736/12 entschieden, dass die unterschiedlich hohen Zuschläge keine Ungleichbehandlung darstellen. Mit Urteil vom 21.03.2018 - 10 AZR 34/17 änderte das BAG seine Rechtsprechung und befand, dass die unregelmäßige Nachtarbeit nicht belastender sei als die regelmäßige Nachtarbeit, weshalb keine unterschiedlich hohen Zuschläge gezahlt werden dürfen. Nun ist das BAG mit Urteil vom 22.02.2023 auf seine frühere Linie umgeschwenkt und hat unterschiedlich hohe Zuschläge für zulässig erklärt. In dem vom BAG entschiedenen Fall arbeitete die Klägerin in einem Wechselschichtmodell mit Nachtarbeit. Im Tarifvertrag war geregelt, dass für die regelmäßige Nachtarbeit im [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 15.03.2023

Grundsatzentscheidung des BAG zur Lohngleichheit

Frauen und Männer dürfen für gleiche oder gleichwertige Arbeit nicht unterschiedlich bezahlt werden. Das BAG entschied am 16.02.2023, dass dies auch dann gilt, wenn der männliche Arbeitnehmer sein Gehalt besser als seine Kollegin verhandelt hat. Die Klägerin ist seit dem 01.03.2017 bei der Beklagten als Außendienstmitarbeiterin beschäftigt. Ihr einzelvertraglich vereinbartes Grundgehalt betrug 3.500 €. Ab dem 01.08.2018 wurde sie nach dem Haustarifvertrag, welcher ein neues Eingruppierungssystem einführte, bezahlt. Sie würde nach diesem Haustarifvertrag ein Grundgehalt in Höhe von 4.140 € erhalten. Der Hausvertrag sah jedoch eine Deckelung vor, wonach die Anpassung nicht mehr als 120 € beträgt, sofern das neue tarifliche Grundgehalt das bisherige tarifliche Grundgehalt überschreitet. Die Klägerin erhielt deshalb ab dem 01.08.2018 ein Grundgehalt in Höhe von 3.620 €. Ein bei der Beklagten seit 01.01.2017 tätiger Außendienstmitarbeiter erhielt ein höheres [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 01.03.2023

Dienstplanänderung während der Freizeit des Arbeitnehmers

Mit der Dienstplanerstellung übt der Arbeitgeber das Weisungsrecht gem. § 106 Satz 1 GewO bezüglich der Lage der Arbeitszeit aus. Nicht immer kann der Dienstplan jedoch so rechtzeitig erstellt (oder bei einer kurzfristigen Erkrankung von Kollegen geändert) werden, dass der Arbeitnehmer vom Dienstplan noch während seiner Arbeitszeit Kenntnis nehmen kann. In einem vom LAG Schleswig-Holstein am 27.09.2022 entschiedenen Fall erschien ein Arbeitnehmer nicht zur Arbeit, da er auf eine kurzfristige Dienstplanänderung nicht reagierte. Der Kläger ist Notfallsanitäter bei der Beklagten, welche einen Rettungsdienst betreibt. Den aktuellen Dienstplan können die Arbeitnehmer per Internet einsehen. Gemäß einer Betriebsvereinbarung können die Notfallsanitäter auch zu Springerdiensten verpflichtet werden. In einem solchen Fall muss der Arbeitnehmer am Vortag bis spätestens 20 Uhr darüber informiert werden, dass er als Springer tätig sein soll. Der Kläger war nach einer [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 22.02.2023

Vergütungshöhe bei Teilzeit- und Vollzeitarbeitnehmern

§ 4 Abs. 1 TzBfG bestimmt, dass Teilzeitbeschäftigte und Vollzeitbeschäftigte gleich behandelt werden müssen, sofern kein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung vorliegt. Das BAG hatte am 18.01.2023 zu entscheiden, ob die bessere Planbarkeit von Arbeitseinsätzen bei Vollzeitbeschäftigten eine geringere Entlohnung der Teilzeitarbeitnehmer zulässt. Der Kläger ist als Rettungsassistent geringfügig bei der Beklagten beschäftigt. Bei dieser sind sog. hauptamtliche Rettungsassistenten in Voll- und Teilzeit tätig, welche eine Stundenvergütung in Höhe von 17 € brutto erhalten. Die sog. nebenamtlichen Rettungsassistenten erhalten eine Stundenvergütung in Höhe von 12 € brutto. Die nebenamtlichen Rettungsassistenten werden nicht arbeitgeberseitig zu Diensten eingeteilt; sie können Wunschtermine für Einsätze benennen, und die Beklagte versucht im Gegenzug, diesen Wünschen zu entsprechen. Ein Anspruch auf einen wunschgemäßen Einsatz besteht nicht. Im Arbeitsvertrag [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 15.02.2023

BAG zur krankheitsbedingten Kündigung

Die Hürden für eine krankheitsbedingte Kündigung sind hoch: Für die Zukunft müssen weitere erhebliche Fehlzeiten zu erwarten sein. Zudem muss der Arbeitgeber darlegen und beweisen, dass die Fehlzeiten des Arbeitnehmers ihn wirtschaftlich unzumutbar belasten. Ob dabei auch freiwillige Sonderzahlungen oder Leistungen wie Krankengeldzuschüsse oder Urlaubsgeld eine Rolle spielen dürfen, hat das BAG am 22.07.2021 entschieden. Die einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Klägerin war im Jahr 2012 an 52, im Jahr 2013 an 33 und im Jahr 2014 an 47 Arbeitstagen, in den Jahren 2015 und 2016 durchgehend sowie im Jahr 2017 an 112 Arbeitstagen und im Jahr 2018 bis zum 18.07. wiederum durchgängig arbeitsunfähig krank. Teilweise bestand für die beklagte Arbeitgeberin keine Entgeltfortzahlungspflicht. Während der Erkrankung gewährte die Beklagte der Klägerin Zuschüsse zum Krankengeld, eine tarifliche Einmalzahlung sowie den Bezug von Jubiläumsaktien. Zudem erhielt sie [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 08.02.2023

Doppelte Schriftformklausel auch bei Protokollunterzeichnung gewahrt

Eine gängige Klausel in Arbeitsverträgen bestimmt, dass Änderungen des Arbeitsvertrags der Schriftform bedürfen und auch ein Abweichen von diesem Schriftformerfordernis nur schriftlich erfolgen kann. Das LAG Thüringen entschied am 07.06.2022, dass Änderungen im Arbeitsvertrag auch durch ein von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam unterzeichnetes Protokoll einer Betriebsversammlung erfolgen kann. Der Kläger fuhr als Tischler wochenweise auf Montage zu auswärtigen Baustellen. Bisher wurde die Fahrzeit vom Arbeitgeber zu 100 % vergütet. Auf einer Betriebsversammlung am 08.04.2005 wurde über Einsparmaßnahmen gesprochen. Ausweislich des Protokolls sollten ab April Fahrtzeiten zur Baustelle und zurück nur noch zu 50 % erstattet werden. Diese Regelung sollte befristet im Jahr 2005 gelten. Am Ende des Protokolls unter der Überschrift "Kenntnisnahme der Mitarbeiter" befindet sich auch die Unterschrift des Klägers. Am 05.05.2006 fand eine weitere Betriebsversammlung statt. Im [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 01.02.2023

Keine fristlose Kündigung bei grober Beleidigung

Beleidigungen im Arbeitsverhältnis führen regelmäßig zur fristlosen Kündigung. Dass selbst nach einer groben Beleidigung eine fristlose Kündigung ausnahmsweise unwirksam sein kann, zeigt ein Urteil des LAG Thüringen vom 29.06.2022 auf. Die Klägerin, eine Ökonomin, war seit 2003 bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis hätte aufgrund einer nicht angegriffenen Kündigung vom September 2019 Ende Februar 2020 geendet. Eine Kündigung aus dem Jahr 2016 wurde arbeitsgerichtlich für unwirksam erklärt. Nachdem die Klägerin nach diesem Kündigungsschutzprozess an ihren Arbeitsplatz zurückkehren wollte, wurde sie in einem schimmel- und mäusebefallenen Keller bei einer Temperatur von 11 Grad mit Archivierungsarbeiten beschäftigt. Später wurde ihr ein Büro zugewiesen, in welches sie die Akten transportieren musste - über einen Hof und unter den Blicken der Kollegen. Im November 2019 führte die Klägerin über Lautsprecher ein Handytelefonat, in welchem die [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 25.01.2023

Mehrarbeitszuschläge: Auch Urlaubsstunden sind zu berücksichtigen

Für das Erreichen des Schwellenwerts, ab dem nach den Bestimmungen des Manteltarifvertrags für die Zeitarbeit ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Mehrarbeitszuschläge besteht, sind nicht nur die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden, sondern auch genommene Urlaubsstunden zu berücksichtigen. Dies entschied das BAG am 16.11.2022. Diese Entscheidung erging zwar zu einem Tarifvertrag, die grundsätzliche Problematik besteht jedoch auch bei der Regelung von Mehrarbeitszuschlägen in Arbeitsverträgen. Der Kläger war bei der Beklagten als Zeitarbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt. Für das Arbeitsverhältnis galt aufgrund beiderseitiger Organisationszugehörigkeit der Manteltarifvertrag für die Zeitarbeit, in welchem bestimmt ist, dass Mehrarbeitszuschläge in Höhe von 25 % für Zeiten gezahlt werden, die im jeweiligen Kalendermonat über eine bestimmte Zahl geleisteter Stunden hinausgehen. Im Monat August 2017, auf den 23 Arbeitstage entfielen, arbeitete der Kläger 121,75 [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 11.01.2023

Schmerzensgeld bei psychischen Belastungen bei Konfliktsituationen am Arbeitsplatz?

Mobbing ist kein juristischer Tatbestand, aus dem sich konkrete Rechtsfolgen herleiten lassen. Es fehlen gesetzliche Regelungen, welche an den Begriff Mobbing anknüpfen. Dies führt jedoch nicht zur Rechtlosigkeit des von Mobbing betroffenen Arbeitnehmers. Hat nämlich das Verhalten des Arbeitgebers eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht zur Folge oder liegt eine Persönlichkeitsverletzung vor, so kommt ein Anspruch auf Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld in Betracht. Geklagt hatte eine Pflegekraft, welche sich mit ihrer Vorgesetzten seit längerem in einer Konfliktsituation befunden hatte. Nach einem Telefonat mit der Vorgesetzten, in welchem die Klägerin um einen freien Sonntag bat, kam es zu verbalen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf die Klägerin als "schwächlich und unselbständig" bezeichnet wurde. Die Klägerin erkrankte daraufhin und wurde auch stationär psychiatrisch behandelt. Sie erhob eine Klage auf Zahlung von Schadenersatz in Höhe [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 21.12.2022

Versetzung von Arbeitnehmern ins Ausland

Mit Urteil vom 30.11.2022 schuf das BAG Klarheit bei der Auslegung des § 106 GewO, bei dem es um das Weisungsrecht von Arbeitgebern auch beim Arbeitsort geht. Es war bisher umstritten, ob sich das arbeitsvertragliche Direktionsrecht insoweit nur auf Deutschland bezieht, oder ob es auch für ausländische Standorte gilt. Der Kläger ist bei einem international tätigen Luftverkehrsunternehmen mit Sitz im europäischen Ausland als Pilot beschäftigt. Arbeitsvertraglich war die Geltung irischen Rechts vereinbart. Stationierungsort des Klägers war der Flughafen Nürnberg. Aufgrund des von der Beklagten mit der Gewerkschaft Vereinigung Cockpit, deren Mitglied der Kläger ist, geschlossenen Vergütungstarifvertrags verdiente der Kläger zuletzt monatlich 11.726,22 €. Arbeitsvertraglich war jedoch lediglich ein Jahresgehalt von 75.325 € vereinbart. Im Arbeitsvertrag war vorgesehen, dass der Kläger auch an anderen Orten stationiert werden kann. Nachdem die Beklagte den Flughafen [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 14.12.2022

Kündigung wegen eines kleinen Fehlers bei der Arbeit zulässig?

Nicht jeder kleinste Fehler bei der Arbeit darf abgemahnt werden. Auch Abmahnungen unterliegen mit Blick auf das Übermaßverbot einer Verhältnismäßigkeitsprüfung. Allerdings ist eine Abmahnung nicht grundsätzlich deshalb unverhältnismäßig, weil nur ein leichter Pflichtverstoß vorliegt und zuvor keine einschlägige Ermahnung oder Rüge als milderes Mittel erteilt wurde. Ein Urteil des LAG Sachsen vom 07.04.2022 zeigt auf, dass es in derartigen Fällen maßgeblich auf eine Gesamtschau der Pflichtverletzungen in der Vergangenheit ankommt. Die Klägerin arbeitete seit 2016 als Kreditsachbearbeiterin bei der Beklagten. Dort besteht eine Arbeitsanweisung "Procedure zur Informationssicherheit am Arbeitsplatz und Clean Desk Policy", welche eine "Richtlinie für eine aufgeräumte Arbeitsumgebung und Bildschirmsperren (Clean Desk Policy-Anhang A 11.2.9) enthält, in der konkrete Verhaltensweisen auch im Hinblick auf den Datenschutz enthalten sind. Die Klägerin wurde sowohl an die [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 30.11.2022

Beweis des Arbeitszeitbetrugs durch Videoaufzeichnung?

Am 13.09.2022 entschied das BAG, dass Arbeitgeber nach bereits geltendem Recht ein System einführen müssen, mit dem die Arbeitszeit der Arbeitnehmer erfasst werden kann (Beschl. v. 13.09.2022 - 1 ABR 22/21). So vielfältig, wie die Möglichkeiten zur Zeiterfassung sind, so umfangreich sind allerdings auch die Gelegenheiten der Arbeitnehmer zum Arbeitszeitbetrug. Da es sich beim Arbeitszeitbetrug um eine Tat im Vertrauensbereich handelt, steht eine fristlose Kündigung schnell im Raum. In dem vom LAG Niedersachsen am 06.07.2022 entschiedenen Fall war eine fristlose Kündigung allerdings unwirksam, weil der Arbeitgeber wegen Nichtbeachtung des Datenschutzes im Kündigungsschutzprozess Videomaterial nicht als Beweis für den Arbeitszeitbetrug vorlegen konnte. Die Dokumentation der Anwesenheit des Klägers im Betrieb der Beklagten erfolgt durch das Vorhalten eines persönlichen Werksausweises vor ein Kartenlesegerät. Sodann wird die Anwesenheit mit Datum und Uhrzeit in einem [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 23.11.2022

Fristlose Kündigung wegen Weitergabe von E-Mails

Das Lesen und die Weitergabe fremder E-Mails kann an sich ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB für den Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung sein. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Arbeitnehmer dabei Beweise für ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren sichern möchte. Die seit 23 Jahren mit Buchhaltungsaufgaben in einer Kirchengemeinde betraute Klägerin entdeckte auf dem Dienstcomputer des Pfarrers, auf den sie Zugriff hatte, eine E-Mail, in welcher der Pastor auf ein gegen ihn gerichtetes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts sexueller Übergriffe auf eine im Kirchenasyl der Gemeinde lebende Frau hinwies. Zudem fand sie als Anhang einer privaten E-Mail einen Chatverlauf zwischen dem Pastor und der betroffenen Frau. Diesen Chatverlauf speicherte sie auf einem USB-Stick und leitete diesen anonym an eine ehrenamtliche Mitarbeiterin der beklagten Kirchengemeinde weiter. Die Klägerin wollte mit diesem Verhalten Beweise sichern und [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 16.11.2022

Zuschläge bei Dauernachtarbeit

Die Gestaltung der Arbeitszeit richtet sich nach dem Arbeitszeitgesetz, das Mindestruhepausen, Arbeitsruhe und die Anzahl der täglichen Arbeitsstunden bestimmt. Daneben sind Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge geregelt. Bei der Nachtarbeit darf die tägliche Arbeitszeit nicht länger als acht Stunden sein. § 6 Abs. 5 ArbZG legt fest, dass dem Nachtarbeitnehmer für die nächtlich geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage gewährt wird oder ein angemessener Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren ist. Die Höhe des angemessenen Nachtarbeitszuschlags richtet sich nach der Gegenleistung, für die sie bestimmt ist. Für den Fall einer Dauernachtwache in einer Wohneinrichtung für behinderte Menschen ist nach Ansicht des BAG jedenfalls von einem Nachtzuschlag von 30 % auszugehen. Die Klägerin arbeitet dauerhaft ausschließlich nachts in einer von der Beklagten betriebenen Wohneinrichtung für behinderte Menschen. [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 09.11.2022

Nachträgliche Änderung des Arbeitszeugnisses

Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf Zeugnisberichtigung, wenn das ausgestellte Arbeitszeugnis nicht ordnungs- oder wahrheitsgemäß ist. Das inhaltlich berichtigte neue Arbeitszeugnis muss mit dem Datum des ursprünglichen Zeugnisses gegen Rückgabe des fehlerhaften Zeugnisses dem Arbeitnehmer übergeben werden. Bei Änderungswünschen des früheren Arbeitnehmers kann sich die Frage stellen, ob der Arbeitgeber berechtigt ist, das Arbeitszeugnis auch in Bezug auf nicht monierte Formulierungen abzuändern. Das LAG Niedersachsen hatte am 12.07.2022 zu entscheiden, ob die Streichung einer Dankes- und Bedauernsformel im Zuge der Nachbesserung des Arbeitszeugnisses zulässig ist. Die Beklagte erteilte der Klägerin ein Arbeitszeugnis, welches mit dem Absatz endete: "… verlässt unser Unternehmen auf eigenen Wunsch. Wir danken ihr für ihre wertvolle Mitarbeit und bedauern es, sie als Mitarbeiterin zu verlieren. Für ihren weiteren Berufs- und Lebensweg wünschen wir ihr alles Gute [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 09.11.2022

Pflicht zur Schaffung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes im Homeoffice?

Die vom 01.10.2022 bis 07.04.2023 geltende neue SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung verpflichtet Arbeitgeber zur Prüfung, ob geeignete Tätigkeiten von den Arbeitnehmern in deren Wohnung ausgeführt werden können. Nicht nur aus Gründen des Infektionsschutzes wünschen Arbeitnehmer einen Homeoffice-Arbeitsplatz. Auch eine Schwerbehinderung kann Anlass sein, eine Beschäftigung im Homeoffice einzufordern. Das LAG Köln wies am 12.01.2022 jedoch den Wunsch einer schwerbehinderten medizinischen Fachangestellten auf Schaffung eines bisher nicht vorgesehenen Homeoffice-Arbeitsplatzes zurück. Die Klägerin ist in der Augenklinik der Beklagten angestellt. Sie leidet an Multipler Sklerose und hat einen Grad der Behinderung von 50. Vom 15.01.2020 bis 09.02.2020 war sie arbeitsunfähig. Am 04.11.2020 fand ein BEM-Gespräch statt. Daraufhin erhielt die Beklagte einen Zuschuss in Höhe von 2.488,91 € für die behindertengerechte Ausstattung des Arbeitsplatzes der Klägerin. Die Beklagte kam [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 02.11.2022

Arbeitszeugnis - kein Anspruch auf Dankes- und Wunschformel

In der Praxis enthalten fast alle Arbeitszeugnisse am Ende des Texts eine Schlussfloskel, in der der Arbeitgeber sein Bedauern über das Ausscheiden des Arbeitnehmers ausdrückt, ihm für seine Arbeit dankt und ihm für die Zukunft alles Gute wünscht. Diese empirische Tatsache haben einige Landesarbeitsgerichte zum Anlass genommen, entgegen der Rechtsprechung des BAG aus dem Grundsatz des arbeitgeberseitigen Wohlwollens einen Anspruch des Arbeitnehmers auf eine solche Schlussformel herzuleiten. Das LAG Düsseldorf entschied am 12.01.2021 (3 Sa 800/20), dass bei einem Arbeitszeugnis mit überdurchschnittlicher Bewertung ein Anspruch auf eine Schlussformel besteht. Würde die sog. Dankes- und Wunschformel fehlen, so sei dies ein Widerspruch zu den vorangegangenen positiven Beurteilungen. Das BAG entschied am 25.01.2022 über die von der Beklagtenseite eingelegte Revision und verneinte einen Anspruch auf die begehrte Schlussformel. Der als Personaldisponent bei der Beklagten [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 28.10.2022

Dürfen Arbeitgeber andere Arbeitgeber vor ehemaligen Mitarbeitern warnen?

Ein Arbeitszeugnis muss objektiv der Wahrheit entsprechen. Es darf also nichts Falsches enthalten sein, aber auch nichts ausgelassen werden, dessen Erwähnung der Leser des Arbeitszeugnisses berechtigterweise erwarten kann. Da bei der Erstellung eines Arbeitszeugnisses auch der Grundsatz der wohlwollenden Beurteilung zu beachten ist und nicht selten die Textvorlage des Zeugnisses vom Arbeitnehmer selbst stammt, sind Arbeitszeugnisse nicht immer so aussagekräftig, wie es sich ein potentieller Arbeitgeber wünschen würde. Vor allem in gut vernetzten Branchen besteht deshalb die Gefahr, dass in Kontakten zwischen den Arbeitgebern untereinander das Verhalten von Bewerbern beim letzten Arbeitgeber zur Sprache kommt und Informationen ausgetauscht werden. Welche Grenzen hierbei zu beachten sind, hat das LAG Rheinland-Pfalz in einem Urteil vom 05.07.2022 aufgezeigt. Die Klägerin war bei der Beklagten als Leitende Fachkraft Gesundheitswesen beschäftigt und kündigte das [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 12.10.2022

Kündigung bei falscher Arbeitszeiterfassung

Der Arbeitszeitbetrug ist immer ein kündigungsrelevanter Sachverhalt. Ob der Arbeitnehmer vor der Kündigung abgemahnt werden muss oder eine außerordentliche Kündigung in Betracht kommt, ist einzelfallabhängig. Das LAG Thüringen hat entschieden, wie mit mehr als 20 nicht im Arbeitszeitsystem erfassten Raucherpausen innerhalb weniger Tage umzugehen ist. Die Klägerin war seit 1990 bei der Beklagten beschäftigt. Im Betrieb der Beklagten galt eine Dienstvereinbarung zur Arbeitszeit. Hiernach ist die Arbeitszeit bei jedem Betreten oder Verlassen der Dienstgebäude zu erfassen, ebenso bei jeglichen Pausen. Am 26.02.2018 bestätigte die Klägerin schriftlich, dass sie durch ihre Teamleiterin zur Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit bei Dienstreisen und zur Buchung von Pausenzeiten belehrt worden sei. Beim Auswerten der Zugangskarten der Klägerin zum Dienstgebäude ergab sich für die zweite und dritte Woche des Jahres 2019, dass die Klägerin bis zu vier Pausen pro Tag nicht [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 05.10.2022

Neue Entscheidung des EuGH zum Verfall von Urlaub

Der EuGH hat bereits mehrfach zur Weiterentwicklung des Urlaubsrechts in Deutschland beigetragen. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Erholungsurlaub hat als "wesentlicher Grundsatz des Sozialrechts der Union zwingenden Charakter" und darf nicht eingeschränkt werden, so der EuGH im Urteil vom 06.11.2018 - C-684/16, Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, EU:C:2018:874. In diesem Verfahren hatte der EuGH festgestellt, dass der Urlaubsanspruch nicht automatisch am Jahresende verfällt, weil der Arbeitnehmer keinen Urlaub beantragt hat. Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer nämlich ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass er noch einen Anspruch auf Urlaub hat. Kommt also ein Arbeitgeber seiner Hinweispflicht nicht nach, kann er sich nicht darauf berufen, dass der Urlaub nicht rechtzeitig genommen wurde. Der Urlaubsanspruch wird in das Folgejahr übertragen. Kürzlich hatte der EuGH zu entscheiden, ob ein solcher Urlaubsanspruch der regelmäßigen Verjährung von drei [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 28.09.2022

Kündigung von "Low Performern"

Dauerhaft schlechte Arbeitsleistungen können nach vorheriger Abmahnung zur verhaltensbedingten Kündigung führen. Bevor jedoch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht kommt, müssen einige Hürden genommen werden: Für die Arbeitgeberseite ist es schwierig, die Minderleistung zu definieren und zu beweisen, da zuvor der vom Arbeitnehmer geschuldete Arbeitsinhalt festzustellen ist. Zwar gibt der Arbeitgeber im Rahmen seines Weisungsrechts den Arbeitsinhalt vor, dieser ist jedoch durch das Leistungsvermögen des Arbeitnehmers begrenzt. Außerdem kann die persönliche Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers zum Gegenstand der Verhandlung werden. Ist diese nämlich für den betroffenen Arbeitnehmer erreicht, kann nur eine personenbedingte Kündigung erfolgen. Das LAG Köln entschied den Fall eines 50 Jahre alten Kommissionierers in einem Großhandelslager im Bereich der Lebensmittellogistik. Dieser war seit 2011 bei der beklagten Arbeitgeberin als Kommissionierer zunächst [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 21.09.2022

Pflicht zur Arbeitszeiterfassung ab sofort

Bis zur Entscheidung des BAG am 13.09.2022 wurde davon ausgegangen, dass das sog. Stechuhr-Urteil des EuGH vom 14.05.2019 - C-55/18 in der Rechtssache CCOO lediglich die EU-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Eine Pflicht des Arbeitgebers, ein solches System einzuführen, wurde aus diesem Urteil nicht abgeleitet. Es wurde erwartet, dass das Arbeitszeitgesetz an diese Rechtsprechung angepasst werden wird. Nun hat das BAG in einem Beschlussverfahren entschieden, dass Arbeitgeber bereits jetzt ein System vorhalten müssen, um die Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen. Die Entscheidung ist im Rahmen einer Verhandlung um das Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems ergangen. Der antragstellende Betriebsrat und die Arbeitgeberinnen, die eine vollstationäre Wohneinrichtung [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 21.09.2022

Unpfändbarkeit einer Corona-Sonderzahlung

Das BAG hat in einem Revisionsverfahren klargestellt, dass eine freiwillig gezahlte Corona-Prämie unpfändbar ist, sofern sie als Erschwerniszulage ausgezahlt wurde. Damit wurde das Urteil des LAG Niedersachsen vom 25.11.2021 - 6 Sa 216/21 bestätigt. Auch das LAG Berlin-Brandenburg hatte mit Urteil vom 23.02.2022 - 23 Sa 1254/21 die Unpfändbarkeit einer Corona-Prämie vom Zweck der Prämie als Ausgleich der Belastung des Arbeitnehmers durch die Corona-Pandemie abhängig gemacht. Der Beklagte war Betreiber einer Gaststätte und hatte der als Küchenhilfe angestellten und auch als Thekenkraft eingesetzten Schuldnerin im September 2020 neben dem Monatslohn i.H.v. 1.350 € brutto und Sonntagszuschlägen i.H.v. 66,80 € brutto eine Corona-Prämie i.H.v. 400 € ausgezahlt. Über das Vermögen der Schuldnerin war im Jahr 2015 das Insolvenzverfahren eröffnet und die Klägerin zur Insolvenzverwalterin bestellt worden. Für September 2020 errechnete die Klägerin aus dem Monatslohn [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 07.09.2022

Anforderungen an die Formulierung von Stellenanzeigen

AGG-Verstöße in Stellenanzeigen werden immer seltener, da sich die Rechtsprechung zwischenzeitlich mit zahlreichen Detailfragen auseinandergesetzt hat. Beispielsweise hatte sich das LAG Köln mit der Frage zu befassen, inwieweit die Wahl der "Duz"-Form in einer Stellenanzeige bereits ein hinreichendes Indiz für eine Altersdiskriminierung i.S.d. AGG darstellen kann (LAG Köln, Urt. v. 10.09.2021 - 10 Sa 1264/20: Die Duz-Form ist kein hinreichendes Indiz für eine Altersdiskriminierung, sondern lässt sich auf die von der Unternehmensseite gewählte Unternehmenssprache zurückführen). Das LAG Schleswig-Holstein hatte nun am 21.06.2022 über die Formulierung einer Stellenanzeige zu entscheiden, welche - wie auch im Kölner Fall - online erschienen ist. Der Kläger bewarb sich auf eine in eBay-Kleinanzeigen veröffentlichte Stellenanzeige. In der Anzeige heißt es: "Sekretärin gesucht! Beschreibung: Wir suchen eine Sekretärin ab sofort. Vollzeit/Teilzeit. Es wäre super, wenn Sie [...]
Arbeits- und Sozialversicherungsrecht vom 31.08.2022

Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers bei Insolvenz des Arbeitgebers

Der Wiedereinstellungsanspruch gibt dem Arbeitnehmer einen Anspruch gegen seinen früheren Arbeitgeber bzw. den Betriebserwerber auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags zu den bisherigen Konditionen. Ein solcher Anspruch besteht, wenn sich die der Kündigung zugrundeliegenden Umstände nach dem Ausspruch der Kündigung, aber noch vor dem Ablauf der Kündigungsfrist ändern oder sich die Prognose des Arbeitgebers als falsch erweist. Wie sich nun dieser Wiedereinstellungsanspruch zur Insolvenz des Arbeitgebers verhält, hat das BAG am 25.05.2022 entschieden: Sollte ein Wiedereinstellungsanspruch bereits vor der Insolvenzeröffnung entstanden sein, erlischt er jedenfalls mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dies ergibt sich aus § 108 InsO, wonach der Insolvenzverwalter nur an bestehende Arbeitsverhältnisse gebunden ist und nicht zum Abschluss neuer Arbeitsverträge gezwungen werden kann. Dem Kläger wurde von der Beklagten, welche ca. 300 Arbeitnehmer beschäftigte, zum [...]